Beliebte Gasheizung: Muss NRW im nächsten Winter frieren?

Müssen wir nächsten Winter frieren? Diese bange Frage stellen sich derzeit viele Menschen in NRW. Immerhin werden rund zwei Drittel der Wohnungen in Nordrhein-Westfalen mit Gas beheizt, das meiste davon kommt aus Russland. Doch im Zuge des Ukraine-Konflikts könnte Russland den Gashahn zudrehen – und auch einige heimische Politiker liebäugeln damit. Wie verwundbar sind wir?

Düsseldorf. Am Sonntag strömten 109,5 Millionen Kubikmeter Erdgas aus Russland über die Pipelines nach Europa. Am Montag (7. März 2022) waren es 109,6 Millionen Kubikmeter, wie ein Sprecher des russischen Konzerns Gazprom der Agentur Interfax mitteilte. Der Wert schwankt seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine kaum, der russische Konzern zeigt sich demonstrativ als zuverlässiger Lieferant. Dennoch ist die Sorge in Europa groß, dass es zu einem Lieferstopp kommen könnte. Eine Sorge, die nicht nur Verbraucher hegen.

Die Börsenpreise für Erdgas zeigen, dass auch die Profis sich diese Gedanken machen. Am wichtigsten Handelsplatz für Gas in Rotterdam hat sich der Gaspreis seit Kriegsbeginn verdreifacht. Letzte Woche überstieg er die magische Grenze von 200 Euro pro Megawattstunde. Gestern (7. März 2022) schoss der Preis zeitweilig bis auf 345 Euro in die Höhe, lag dann am Nachmittag bei 250 Euro. Zum Vergleich: Ende 2021 rangierte der Gaspreis bei fast 150 Euro, im langjährigen Mittel sind es dagegen 10 bis 25 Euro. Die Märkte sind also nervös.

Von Putin oder von Europa: Wird der Gashahn zugedreht?

Dabei ist es fraglich, ob Russland wirklich als Reaktion auf die harten westlichen Sanktionen den Gashahn zudreht. Denn die Sanktionen sind so schwerwiegend, dass die Öl-, Gas- und Kohle-Lieferungen für Russland praktisch zur einzigen Geldquelle geworden sind. Auf die Einnahmen in harten Devisen kann das Land unter diesen Bedingungen kaum verzichten. Es kann das Gas auch nicht einfach nach China liefern – dorthin gibt es viel zu geringe Pipeline-Kapazitäten. Allerdings könnte es gerade das für Russland interessant machen, den Gashahn teilweise zuzudrehen: Würde nur noch durch eine Leitung geliefert, stiege der Preis für das Gas noch einmal kräftig.

Tatsächlich hat Russland gestern damit gedroht, Nordstream 1 abzuschalten. Ursache für die Nervosität am Gasmarkt ist zudem die politische Diskussion in Europa. Auch deutsche Politiker hatten jüngst laut darüber nachgedacht, Europa könne den Gashahn selbst zudrehen – als weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. So hatte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel geschrieben, die Gas- und Öleinfuhren aus Russland sollten sofort gestoppt werden. Parteichef Friedrich Merz (CDU) sagte dagegen laut Medienberichten, man erwäge einen solchen Schritt derzeit nicht. Er sei aber offen dafür, wenn der Krieg andauere.

Bundeskanzler Scholz gegen Importstopp für Energieträger

Keine wirklich beruhigenden Aussagen, welche die Bevölkerung verunsichern und die Preise anheizen. Das Bundeskanzleramt versuchte gestern mit einer Pressemitteilung zu beruhigen: „Bewusst hat Europa Energielieferungen aus Russland von Sanktionen ausgenommen“, heißt es darin. Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie könne im Moment nicht anders gesichert werden. Man arbeite an Alternativen, das gehe aber nicht von heute auf morgen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) will also weiter Energie aus Russland importieren. Wie groß die Abhängigkeit ist, hat das Beratungsunternehmen Aurora Energy Research letzte Woche in einer Untersuchung nachgezeichnet. Sollten die Erdgasspeicher zu Beginn des nächsten Winters zu 90 Prozent gefüllt sein (was bis dahin weitere Gasimporte voraussetzt), müsste beim Wegfall der russischen Lieferungen in Europa ein Loch von 109 Milliarden Kubikmetern Gas gestopft werden, damit die Versorgung gesichert ist. Das sind 38 Prozent der insgesamt geplanten Liefermenge.

Gasimporte aus Russland kaum zu kompensieren

Davon könnten 12 Milliarden Kubikmeter eingespart werden, indem Gaskraftwerke durch einen Verzicht auf die Abschaltung von Atom- und Kohlekraftwerken ersetzt würden. Zwar bezieht Europa auch einen großen Teil seiner Kohle aus Russland, Alternativen wären aber leichter zu finden als beim Gas. Verbleibt eine Lücke von 97 Milliarden Kubikmetern, die nur durch Einsparungen zu kompensieren wäre. Da fröstelt es die Verbraucher schon beim Lesen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Sonntag im ZDF, ein möglicher Lieferstopp bereite ihm Sorgen, was den nächsten Winter angeht.

Sein Ministerium prüft daher, ob die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands, die eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollen, weiter laufen können. Auch kann sich Habeck vorstellen, Kohlekraftwerke nach ihrer Abschaltung als Reserve betriebsbereit zu halten. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Oliver Krischer (Grüne) sagte dem WDR am Montag, man wolle gesetzlich vorschreiben, dass die Gasspeicher zukünftig voll sein müssten. Außerdem wolle man auch mit anderen Ländern Lieferverträge abschließen.

Große mögliche Lieferländer wären die USA und Katar. Das Gas von dort müsste jedoch in flüssiger Form als sogenanntes LNG per Schiff importiert werden. Entsprechende Hafenanlagen gibt es in Europa bislang erst drei Stück, keine davon in Deutschland. Auch zusätzliche LNG-Schiffe wären nötig. Die Leitungskapazitäten, das Gas aus Häfen in den Niederlanden und Belgien nach Deutschland weiterzuleiten, sind recht begrenzt. Eigene LGN-Terminals an der deutschen Nordseeküste sind geplant, aber nicht innerhalb weniger Monate zu realisieren.

Ukraine-Krieg beschleunigt Energiewende im Gebäude-Sektor

Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, stünde vielen Menschen bei uns also wohl schon ein kalter Winter 2023 bevor. Gas ist hierzulande der mit Abstand beliebteste Heizenergieträger. In Nordrhein-Westfalen sind laut statistischen Landesamt 64,5 Prozent der Wohnungen mit Gas beheizt. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2018, sind aber aktuell die jüngsten verfügbaren amtlichen Zahlen. Der <link file:2800 download internal link in current>NRW-Wohnkostenbericht 2021 von Haus & Grund Rheinland Westfalen, der aus einer Befragung der Mitglieder hervorgeht, ergab letztes Jahr einen Gas-Heizungsanteil von 66,4 Prozent. Rund zwei Drittel dürfte der Anteil also in NRW betragen.

Logische Konsequenz: Die offensichtliche Verwundbarkeit Deutschlands gegenüber weltpolitischen Krisen wie dem aktuellen Krieg in der Ukraine befeuert jetzt die Bemühungen zur Energiewende einmal mehr: Durch Nutzung alternativer, regenerativer Energien wäre man schließlich auf den Import fossiler Energieträger nicht mehr angewiesen. Das hilft zwar nicht bis zum nächsten Winter, soll die Problematik aber längerfristig beseitigen. Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet bereits an einem Regulierungspaket zur Senkung des Gasverbrauchs. Konkrete Details sind noch nicht bekannt.

Darin ist laut Medienberichten aber eine Solarpflicht für die Dächer aller gewerblichen und privaten Neubauten geplant. Zinsgünstige Förderkredite sind als Hilfestellung dafür angedacht. Ab 2025 sollen nur noch Heizungen verbaut werden dürfen, die zu mindestens 65 Prozent erneuerbare Energie einsetzen. Der Einbau von Wärmepumpen soll forciert und Handwerker verstärkt für deren Einbau fortgebildet werden. Putins Krieg gegen die Ukraine wird so zu einem Beschleuniger für die Energiewende im Gebäudebereich, die Belastungen dadurch werden auf Eigentümer und Vermieter noch kurzfristiger zukommen, als bisher angenommen.

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